Metas KI-Pläne verstoßen gegen die DSGVO und unsere Grundrechte
Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Öffentlichkeit unterwegs, und ein Fremder spricht Sie an. Er entwickelt eine neue Technologie, und damit sie funktioniert, muss er alle Daten über Sie verarbeiten, die Sie oder jemand anders jemals online gestellt haben. Sobald Sie ihm die Erlaubnis dazu erteilen, können Sie Ihre Meinung nie wieder ändern oder Ihre Daten zurückverlangen. Und sobald seine Technologie entwickelt ist, wird er allein von Ihren Daten profitieren – indem er sie an Tausende von Unternehmen und Regierungen verkauft.
Ach ja, und er kann Ihnen nicht sagen, wie genau Ihre Daten verwendet werden – und so wol nicht garantieren, dass sie nicht irgendwan gegen Sie eingesetzt werden.
Klingt das nach einem fairen Geschäft?
Denn genau das ist es, was Mark Zuckerberg derzeit im Grunde tut.
Im April kündigte Meta Inc. an, damit zu beginnen, seine Künstliche Intelligenz (KI) mit Informationen zu trainieren, die Nutzer*innen in der EU auf seinen Plattformen Facebook und Instagram veröffentlicht haben.
Meta erklärte, es werde alle Arten persönlicher Informationen aufsaugen – darunter Namen, Fotos sowie sämtliche Inhalte, die auf öffentlichen Seiten, in Gruppen und Kanälen gepostet wurden. Das Unternehmen behauptete, keine Daten von Minderjährigen zu verarbeiten, räumte aber ein, dass Kinder und Nicht-Meta-Nutzer*innen, die in den Inhalten anderer vorkommen, von den Systemen erfasst würden.
Die Nutzer*innen hatten etwa einen Monat Zeit, um zu widersprechen – und zwar über einen umständlichen sechsstufigen Prozess, bei dem der Opt-out-Link in einem Absatz versteckt war. Der Ablauf war so verwirrend, dass er fast absichtlich zum Scheitern ausgelegt schien.
Mehrere Organisationen, darunter SOMI – die Stiftung, die ich leite – haben Maßnahmen ergriffen, um Meta zu stoppen. Wir argumentieren, dass der amerikanische Tech-Gigant gegen europäisches Recht verstößt und seine eigenen kommerziellen Interessen über das Grundrecht auf Datenschutz der Betroffenen stellt.
Im Mai wies das Oberlandesgericht Köln eine erste einstweilige Verfügung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ab – mit der Begründung, dass Metas Geschäftsinteressen an der KI-Entwicklung schwerer wiegen als die Datenschutzbedenken der Nutzer*innen.
Die Urteilsbegründung wurde erst am 13. Juni 2025 veröffentlicht. Erst dann wurde öffentlich, dass das sogenannte „KI-Training“ ab dem 27. Mai 2025 tatsächlich:
• personenbezogene Daten einer großen Anzahl von Kindern und Minderjährigen sammelt;
• personenbezogene Daten von Nicht-Nutzer*innen verarbeitet, die dieser Verarbeitung nicht widersprechen oder sie sonst umgehen können;
• eine Vielzahl personenbezogener Daten von Nutzer*innen und Dritten einsammelt, die auf in-stitutionellen Accounts veröffentlicht wurden – Personen, die von Anfang an keine Möglich-keit hatten, der Verarbeitung zu widersprechen und daher völlig schutzlos sind; und
• massenhaft Daten verarbeitet, aus denen sich die rassische und/oder ethnische Herkunft, poli-tische Meinungen, religiöse und/oder weltanschauliche Überzeugungen sowie Gewerkschafts-zugehörigkeit ableiten lassen.
Wir bei SOMI sind grundsätzlich dagegen, dass Meta das Recht haben sollte, seine Systeme mit solchen Daten zu trainieren – und dass das, was das Unternehmen begonnen hat, mehrfach gegen die DSGVO verstößt.
Trotz des hohen Prozessrisikos haben wir daher eine eigene einstweilige Verfügung eingereicht.
Wir sind dieses Risiko eingegangen, weil die Bedeutung für den Datenschutz und die Grundrechte immens ist – nicht nur für Deutsche und die deutsche Tech-Branche, sondern für alle Europäer*innen. Und auch, weil die Rechtsverletzung nachweislich seit dem 27. Mai 2025 stattfindet. Unsere Anhörung findet am 5. August in Schleswig statt.
Grundsätzlich möchten wir verstehen, warum ein deutsches Gericht amerikanische Unternehmensinteressen über die Privatsphäre von Menschen in Europa stellt. Meta – das Unternehmen hinter dem Cambridge-Analytica-Skandal, das für einen Anstieg der Depressionen bei Jugendlichen mitverantwortlich gemacht wird und dessen Datenschutzpraktiken so schlecht sind, dass Nutzerpasswörter unverschlüsselt gespeichert wurden – scheint kaum das richtige
Unternehmen zu sein, um massenhaft Daten für KI-Training zu sammeln.
Zweifellos hat Technologie der Gesellschaft immense Vorteile gebracht. Und natürlich müssen Technologieunternehmen Gewinne erzielen, um Innovationen voranzutreiben. Ich selbst leite ein IT-Unternehmen und verstehe das so gut wie jeder andere.
Aber die EU hat aus historischen Erfahrungen und Ungerechtigkeiten starke, wertebasierte Rechtsstrukturen für den Technologiebereich geschaffen. Unsere Gesetze schützen Menschen – insbesondere Kinder und Jugendliche, gutgläubige Bürger*innen, ältere Menschen, Menschen mit geringer Lesekompetenz und alle, die zu beschäftigt oder zu müde sind, um das Kleingedruckte zu lesen.
Wir bei SOMI setzen uns rechtlich für genau diese Menschen ein. Als Europäer und Unternehmer weiß ich, dass wir eine florierende Tech-Branche entwickeln können, die sowohl europäische Werte unterstützt als auch Anstand über Konzerngewinne stellt.
Die USA haben sich für einen imperialistischen Ansatz im Bereich KI entschieden. Erst in dieser Woche präsentierte US-Präsident Donald Trump seine Vision für eine amerikanische KI-Dominanz, die „die ganze Welt auf dem Rückgrat amerikanischer Technologie laufen lassen“ soll.
Wir wünschen uns, dass Regulierungsbehörden und Gerichte in Europa unsere Gesetze wahren – Gesetze, die den Schutz der individuellen Rechte über die Interessen von Konzernen stellen und europäische Tech-Unternehmen gegenüber amerikanischen und chinesischen Giganten schützen.
Von Hans Franke
Hans Franke ist Gründer und Direktor von SOMI, einer von der Europäischen Kommission zugelassenen qualifizierten Einrichtung, die Sammelklagen in allen 27 EU-Mitgliedstaaten einreichen darf.